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Dreamteam Sport & Digitalisierung: Erwin Staudt im Interview

Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche nachhaltig, auch die Welt des Sports. Digitale Technologien eröffnen neue Möglichkeiten und versprechen enorme Wachstumschancen – aber der Kampf um Kunden und Fans ist dadurch kompetitiver geworden.

USU-Vorstand Dr. Benjamin Strehl sprach mit Erwin Staudt, dem ehemaligen Geschäftsführer der IBM Deutschland und Präsidenten des VfB Stuttgart, über wichtige Erfahrungen beim Prozess der digitalen Transformation im Sport und „lessons learned“ für erfolgreiche Organisationen.

Benjamin:
Als langjähriger Chef der IBM Deutschland hast Du das Thema Digitalisierung federführend vorangetrieben. Und danach als hauptamtlicher Präsident des VfB Stuttgart die Geschicke eines Fußballvereins geleitet. Damit hast Du die Themen Digitalisierung und Sport aktiv mitgestaltet – welche Erkenntnisse aus der IT-Branche konntest Du im Sport umsetzen? 

Erwin:
Als ich Präsident beim VfB wurde, habe ich zunächst einmal geschaut, was wir eigentlich für Planungs-Instrumente haben und welche IT-Voraussetzungen gegeben sind. 2021_07_06_USU_Hauptversammlung-6Und ich hatte Glück, dass ich damals ein Team hatte, das hochmotiviert und offen für Neues war. Und so haben wir angefangen, Instrumente einzubauen, ähnlich wie ich sie bei IBM gewohnt war. Also Balance, Scorecard oder Customer Relationship Management. Auch das Thema Knowledge Management war wichtig, denn der Einsatz eines lernenden Systems sollte helfen, praktisch alle Fragen übers Internet zu beantworten. 
Es war wirklich ein Genuss, zu beobachten, wie sich das alles entwickelt hat. Das heißt, wir haben Instrumente der Wirtschaft in den Sport eingefügt. Und was wir vom Sport natürlich lernen konnten, war die Öffentlichkeit. Die hat man im Vergleich zur Industrie automatisch. Es ist unvorstellbar, wenn man von außen kommt – jeder eingewachsene Zehennagel war ein Weltereignis in der Presse...
Jeden Tag wurden Geschichten geschrieben, egal ob sie jetzt tiefgründig oder nicht waren. Aber das ist der Sport. Und mit dem zu leben, macht Spaß. Das ist auch ein wesentlicher Treiber für die Digitalisierung in diesem Bereich.

Benjamin:
Du hast die große Öffentlichkeit als wesentlichen Unterschied angesprochen. Und einige zentrale Tools und Prozesse, ohne die auch in einer Sportorganisation nichts zusammenläuft. Kannst Du beschreiben, welche Bereiche vor allem digitale Werkzeuge für ihre Arbeit nutzten?

Erwin:
Also zunächst einmal muss man feststellen, dass ein Bundesliga-Verein im Grunde ein mittelständisches Unternehmen mit etwa 400 Mitarbeitenden und 200 Millionen Euro Umsatz ist. Und daher war mein Ansatz, die Verwaltungsabläufe so zu gestalten, dass sie reibungslos und effizient funktionieren. Denn das ist das Brot- und Butter-Geschäft. Der Sport war in meiner Terminologie immer die Produktionsstätte unseres Unternehmens. Ich war im Prinzip der Vertriebschef, aber der Trainer mit seinen Spielern und seinem Funktions-Team drumherum - das war die Produktion. Und die Produktion wollte natürlich auch effiziente Instrumente haben. Beispielsweise im Bereich Scouting sollten auf Knopfdruck sämtliche relevanten Daten eines interessanten Spielers verfügbar sein – von der Leistungsdiagnostik bis hin zur Schuhgröße und dem Kampfgewicht. Da kommen in Summe und über den Verlauf einer Spiel-Saison Unmengen von Daten zusammen. Diese Big Data wollen nicht nur gesammelt, sondern auch zielgerichtet ausgewertet werden – als Grundlage für wichtige Entscheidungen. Dafür haben wir gesorgt.   
Heutzutage ist es natürlich noch viel mehr – und in Echtzeit. Im Stadion gibt es zum Beispiel viele Kameras, die nur die Bewegungsabläufe der Spieler aufnehmen. Deswegen kann man auch genau sagen, dass z.B. Schalke in Summe 5,5 km weniger gelaufen ist wie der Gegner. Das alles ist nur durch Digitalisierung möglich. Und hierbei ist der Fußball im Sport sicherlich Vorreiter. Weil dort am meisten Geld bewegt wird. Weil man sich solche digitalen Spielchen leisten kann, aber auch leisten muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 

Benjamin:
Digitale Transformation in einem Sportverein bedeutet ja, nicht nur die Profis zu überzeugen, sondern alle Mitarbeitenden, dass sie alte Prozesse und Werkzeuge über Bord werfen, neue Wege beschreiten und ständig dazulernen. Wie hast Du es geschafft, jeden VfB-Mitarbeiter mitzunehmen? Gibt es ein Erfolgsrezept?

Erwin:
Also für mich war immer wichtig, die Grundsatzfragen zu beantworten Wie führt man eine Organisation, egal ob es ein Softwareunternehmen, ein Fußball-Verein oder ein Verband ist. Für mich führt man am besten über eine Vision. Wenn der Präsident, die Geschäftsführung oder das Führungsteam eine Vision entwickelt und dann alle Überzeugungskraft aufbietet, die Mannschaft, die Mitglieder und die Kunden davon zu überzeugen, dann läuft das nur über intensive Kommunikation.
Und hier spielt die Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Gerade in den letzten Jahren hat sich dank Corona die digitale Kommunikation enorm weiterentwickelt. Und diese technischen Möglichkeiten müssen wir nutzen.
Gerade als Verbände oder Sportvereine müssen wir uns vornehmen, zu wachsen, an Bedeutung zu gewinnen und möglichst viele Menschen dafür zu begeistern. Es liegt auch im gesellschaftlichen Interesse, vielen Menschen Freude am Sport zu vermitteln. Und dazu brauchen wir die Digitalisierung und die Kommunikationsinstrumente. 
Social Media zum Beispiel war in meiner Zeit beim VfB erst in den Anfängen. Inzwischen ist das natürlich ein zentraler Kommunikationskanal zu den Fans, auch wenn es manchmal nicht einfach ist, einen Shitstorm auszuhalten.  Wir brauchen diese Art und Weise, mit unseren Leuten in ständigem Kontakt zu bleiben, Angebote zu machen, Arbeitsgruppen zu bilden und die Organisation dadurch weiterzubringen.

Benjamin:
Aber wie kann der Austausch mit den Mitgliedern und Fans sinnvoll funktionieren? Kannst Du ein Beispiel nennen?

Erwin:
Ein Bundesligaverein hat vielleicht 100 oder 200 Fanclubs, manche noch viel mehr. Und die sind verteilt über ganz Deutschland. Daher würde ich beispielsweise regionale oder Themen-bezogene Diskussionsforen anbieten, um die Leute zu motivieren, aktiv sich einzubringen und den Verein dadurch weiterzuentwickeln. Für viele ist ihr Verein ein wichtiges Element in ihrem Leben, und da wollen sie aktiv mitwirken. Und heute haben wir die technischen Möglichkeiten, es muss nur organisiert werden.

Benjamin:
Auch im Fußball ist eSport ein sehr großes Thema. Wie siehst Du diesen Trend?

Erwin:
Für mich ist eSport kein Sport, sondern es ist ein Spiel. Gaming ist vermutlich der bessere Begriff. Auf jeden Fall ist es ein weiterer Kanal, um mit den Menschen Kontakt aufzunehmen. Sie spielen, sie kicken an ihrem PC, zu Hause. Wenn das Spaß macht, ist das wunderbar. 
Und wenn es mit uns zusammenhängt, dass die Leute da Mitglied werden, dann ist das eine tolle Sache. Denn wir reden nicht über Minderheiten, sondern über Größenordnungen von 4-5 Millionen Deutschen. 
Wenn ich die letzten Umfragen angucke vor Weltmeisterschaften, wird immer gefragt: „Wie affin sind die Deutschen zum Fußball?“ Wir haben 51 % Affinität in Deutschland, das heißt rund 40, 41 Millionen Menschen, die sagen: „Fußball gefällt mir“. Das ist doch ein Potenzial, da muss man was draus machen. 
Für mich ist es daher das Ziel, eine Art Ecosystem aufzubauen, das vielfältige Angebote enthält, wie wir Menschen helfen können, mit ihrem Sport noch glücklicher zu werden – über die Leistung auf dem Sportplatz hinaus. Zum Beispiel durch Merchandising-Aktivitäten, sonstige Events oder Reisen. Und dass wir auch dadurch Wachstum generieren, um guten Sport zu finanzieren.

Benjamin:
Das sind schöne abschließende Worte, Erwin – vielen Dank für Deine Gedanken und Anregungen. Wir haben eine Reihe von Aspekten aufgegriffen, wie Digitalisierung den Sport unterstützen und weiterbringen kann. Damit das in der Praxis gelingt, ist vor allem die Vorbildfunktion durch Führungskräfte ein zentraler Erfolgsfaktor.


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