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Digitale Prozesse: Weg mit den Handschellen

Was macht ein digitales Unternehmen aus? Es ist wie die digitale Welt: Hyper-vernetzt und agil, also mit hoher Anpassungsfähigkeit an Veränderungen. Die hierarchische Linienorganisation ist dafür viel zu langsam und zu eindimensional. Sie war ausgerichtet auf eine Welt, in der sich Geschäftsprozesse nur langsam veränderten, sich Produkte evolutionär weiterentwickelten statt disruptiv. Vereinfacht gesagt reichte es aus, wenn wenige an der Spitze strategische Planungen entwickelten, die dann auf Abteilungen und den einzelnen Mitarbeiter in Einzelaufgaben aufgeteilt wurden. Der Mensch als Rad im Getriebe, die Organisation als Maschine. In der industriellen Welt hat das wunderbar funktioniert.


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Zur Aufzeichnung der Keynote:
"Blick durchs Schlüsselloch in Richtung Zukunft: Eine (Arbeits)welt mit dem Menschen im Mittelpunkt"

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In Hierarchien ist Disruption nicht vorgesehen

Mit Disruption kommt diese Art der Organisation nicht gut zurecht. Die auf maximale Effizienz
ausgerichteten Prozesse schränken ein, Veränderungen sind nicht vorgesehen, erst recht keine
“Revolutionen”. Zudem ist diese Welt komplex. Es ist nicht die EINE Veränderung, mit der wir
umgehen müssen, viele Technologien überlagern und verstärken sich. So auch jetzt. Maschinen
werden immer intelligenter und werden alles, was standardisiert werden kann, übernehmen: Texte erkennen und schreiben, Röntgenbilder analysieren, automatisches Konstruieren. Das verändert die Arbeitsinhalte von Wissenschaftlern, Ärzten oder Ingenieuren radikal.

Geht ihnen deshalb die Arbeit aus? Nein, im Gegenteil: Wir haben zum ersten Mal die Möglichkeit, die Last der Arbeit, das Stereotype an Maschinen abzugeben und können uns auf das konzentrieren, was uns als Menschen ausmacht: Kreativität, Empathie, Kommunikation. Und da sind wir wieder bei den Prozessen. Sie müssen sich fundamental verändern, ganz neu gedacht werden. Sie müssen Freiheitsgrade geben. Denn das, was für uns an Arbeit übrig bleibt, ist das, was eben nicht den Standards entspricht.

Komplexität erfordert fundamental andere Prozesse

Machen wir es konkret mit Beispielen aus der realen Welt. Beginnen wir mit dem Gesundheitswesen. In einer alternden Gesellschaft werden immer mehr Menschen gleichzeitig chronische Erkrankungen haben - beispielsweise Diabetes und Demenz. Dies in Prozessen abzubilden, die Pflegekräfte seriell abzuarbeiten haben, ist sinnlos. Die Erstellung und Bedienung dieses Prozesses würde mehr Zeit kosten als er Nutzen bringen würde. Dies hat der Pflegedienst Buurtzorg schon früh erkannt. Der Gründer und Geschäftsführer Jos de Blok hat die Pflegekräfte soweit wie irgendwie möglich von einengenden Prozessen befreit. Die Teams bestehend aus 4-6 Pflegekräften konnten in ihrem zugewiesenen Viertel die Patienten unter sich aufteilen und behandeln, wie sie es für richtig hielten. Es galten zwei Regeln: Alle Tätigkeiten müssen zum Wohle des Patienten sein und wer etwas Neues ausprobieren möchte (z.B. Präventionsmaßnahmen) muss sich Feedback von Kollegen einholen für den Perspektivenwechsel.

Das Resultat: Buurtzorg gewinnt alle Qualitätskontrollen bei gleichzeitig bis zu knapp 40% weniger Zeitaufwand. Was lernen wir? Die Antwort auf Komplexität lautet nicht mehr serielle Prozesse, sondern solche, die einen sicheren Rahmen für Freiheitsgrade geben, wie zum Beispiel das Einholen von Feedback für mehr Perspektiven. Dann können sich unsere menschlichen Fähigkeiten entfalten.

Agile Prinzipien sind universell

Wenn Sie jetzt sagen: “Für den Pflegebereich mag das passen, für meine Branche aber nicht. Die
funktioniert nach ganz anderen Regeln”, dann lassen Sie uns die Szene wechseln in eine ganz andere Welt. Beamen wir uns in einer Callcenter einer Bank in das Jahr 2008. Dies war das Jahr der
Finanzkrise, in der gerade in den USA viele Menschen ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten.
Wieder eine Situation, die nicht dem Standard entsprach. Die Callcenter kamen an ihre Grenzen, die vorgegebenen Gesprächsleitfaden funktionierten nicht mehr. Also wurden in einem Callcenter die Prozesse geändert nach den gleichen Prinzipien, wie sie bei Buurtzorg umgesetzt wurden:

  • Teamgröße 4-8 Personen
  • alle Vorgaben soweit wie möglich entfernt
  • Freie Kundenzuordnung innerhalb des Teams
  • Streichung variabler Gehaltsanteile für mehr Sicherheit
  • Jeden Morgen Austausch im Team, Teilen von Erfahrungen, Fragen stellen
  • Einmal wöchentlich stellte das Team den schwierigsten Fall einer Runde von Führungskräften
    aus verschiedenen Bereichen der Bank vor. Gemeinsam wurde die weitere Vorgehensweise
    besprochen und Freigaben erteilt.

Das Resultat: Das Testteam hat nach einem halben Jahr doppelt so gute Ergebnisse erzielt wir die
Teams mit den Standardprozessen. (Quelle: Primed to Perform, Neil Doshi, Lindsay Mc Gregor)

Wir könnten und noch viele Beispiele aus ganz unterschiedlichen Industrien anschauen, die
Ergebnisse sind immer die gleichen. Um in komplexen Umgebungen zu agieren, die keinem Standard entsprechen, gelten universelle Prinzipien der Zusammenarbeit:

Selbstorganisation, Transparenz und Vernetzung

Sie werden vielleicht schon erkannt haben, dass genau dies die Prinzipien agiler Arbeitsweisen sind. Nicht zufällig hatten diese in der Informationstechnologie ihren Durchbruch. Dort mussten Menschen so sehr früh in komplexen Systemen mit geringer Planbarkeit Ergebnisse in hoher Geschwindigkeit erzielen.

Was lernen wir daraus? Die Adaption von Technologie alleine reicht nicht aus, um eine Organisation fit für die Zukunft zu machen. Parallel muss sich die Art und Weise der Zusammenarbeit weiterentwickeln. Dies fordert uns als Individuum heraus. Denn “der Mensch im Mittelpunkt” bedeutet eben auch, nicht mehr auf Anweisung nach der Stechuhr zu arbeiten, sondern eigene Stärken erkennen und weiterzuentwickeln, selber Entscheidungen treffen und diese auch verantworten. Dies erfordert das Überdenken von Glaubenssätzen, viel Selbstreflektion und eine durchaus anstrengende Reise in die persönliche Weiterentwicklung. Dies gilt für Führungskräfte UND für Mitarbeiter.

Die Arbeit geht uns nicht aus, sie verändert sich allerdings radikal

Organisation, die sich der Größe der Transformationsaufgabe bewusst sind, können nur gewinnen. Denn die Arbeit geht uns nicht aus, sie wird nur ganz anders. Wie? Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Pflegeroboter. Diese zum Wohle des Patienten einzusetzen, würde Organisationen, die wie Buurtzorg organisiert sind, viel leichter fallen. Statt “von oben herab” Prozesse für alle Patient:innen zu definieren, könnten die Pflegekräfte Einsatzszenarien durchdenken, diskutieren und transparent voneinander lernen im steten Austausch.

Wenn wir weiter in die technologische Zukunft blicken, sehen wir dort das große Thema Web 3.0. Hier sind Transparenz, Vernetzung und Dezentralität im System eingebaut. Nicht umsonst sind heute schon die größten Anwendungsfälle im Supply Chain Management realisiert - Unternehmen, können so schneller und flexibler auf Störungen - denken Sie an die Blockade des Suezkanals durch die Evergiven - reagieren. Das macht Unternehmen resilient. Also besser heute schon Umdenken.


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