Interview mit Elisa Naranjo, Head of Fairstainability bei einhorn products über die Herausforderungen und Chancen, unsere Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit umzukrempeln.
Thomas:
Elisa, mit Deinem ersten beruflichen Engagement in Sachen Nachhaltigkeit hast Du Dich gleich ins das Haifischbecken der Modebranche begeben. Wie waren Deine praktischen Erfahrungen, nachdem Du globale Wirtschaft mit Fokus auf Nachhaltigkeitsmanagement studiert hattest?
Elisa:
Nun, nach dem Studium wollte ich voller Elan meine Erkenntnisse umsetzen, positive Strukturen schaffen und begann im Nachhaltigkeitsteam eines Online-Modehändlers. Leider musste ich nach wenigen Monaten die Erfahrung machen, dass das Geschäftsmodell von Fast Fashion nicht in Einklang zu bringen ist mit fairen sozialen Standards über die komplette Lieferkette. Die Lieferanten z.B. in Südostasien, haben sich zwar dazu verpflichtet, unseren Code of Conduct zu erfüllen. Kinderarbeit und Zwangsarbeit waren beispielsweise untersagt. Aber Audits waren angemeldet, und natürlich waren die Betriebe vorbereitet. Sie zeigten uns nur ihre Schokoladenseite. Viele der Näherinnen waren „zufällig“ genau 16 Jahre alt und die Überstundenzettel bewegten sich genau im zulässigen Rahmen.
Andererseits gab es von Seiten unseres Unternehmens immer wieder Druck, die Ware für bestimmte Aktionen noch schneller zu liefern oder den Preis noch weiter zu drücken. Die Lieferanten waren also im Dilemma, alle unsere Anforderungen (z.B. kurze Lieferzeiten und keine Überstunden) zu erfüllen. Und so arbeitete die Business Strategie konsequent gegen unsere Nachhaltigkeits-Bemühungen. Die Ziele liefen intern diametral auseinander, und so war die wichtigste Erkenntnis für mich, dass Nachhaltigkeit ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie sein muss, um diesen Namen zu verdienen.
Thomas:
… und diese Erkenntnis hast Du dann bei einhorn umgesetzt?
Elisa:
Ja, definitiv. Nachhaltigkeitsbemühungen ohne Impact hatte ich in der Modebranche kennengelernt, mir ging es um echte Veränderung. Und da kam die Gründung eines sozialen Startups, das nachhaltige Kondome und Menstruationsprodukte vertreibt, gerade recht. Das war 2015, und inzwischen haben wir mit einer tollen Unternehmenskultur und trotz geringem Budget vieles erreicht. Dabei haben wir versucht, die großen Fragen zu stellen und für uns zu beantworten. Was hat welche Maßnahme für Auswirkungen – global, lokal, sozial. Zum Beispiel bei unseren Periodenprodukten: unter welchen Bedingungen können wir überhaupt Wegwerf-Produkte produzieren, was sind die größten Probleme im Kontext Baumwolle, wie sieht die soziale Seite aus usw.? Mit den Kautschuk-Produzenten unserer Kondome sind wir einen langen Weg gegangen, um uns kennenzulernen, zu hospitieren, Fragen zu stellen, zuzuhören, abzuwägen und schließlich gemeinsam den Weg zu gehen, mit dem wir beide einverstanden sind. Als Partner auf Augenhöhe. Das benötigt Zeit und Vertrauen, aber der Weg lohnt.
Thomas:
einhorn war ein Startup, dass Ihr auch unter Nachhaltigkeitsaspekten zu einem etablierten Unternehmen formen konntet – aber wie sieht es bei bereits „etablierten“ Unternehmensstrukturen aus? Welche Barrieren gilt es Deiner Meinung nach zu überwinden? Und welche Lösungsansätze sind erfolgversprechend?
Elisa:
Ziel der Unternehmen muss es sein, echte Nachhaltigkeit zu leben. Und das funktioniert nur durch eine Verankerung in der Unternehmensstrategie, bei der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit gleichberechtigt nebeneinanderstehen. In der Praxis ist dabei häufig der Weg das Ziel. Das bedeutet in den meisten Fällen einen längeren Transformationsprozess und braucht Zeit und Ressourcen. Beispielsweise benötigt man spezielle Rollen hierfür. Oft ist es in Unternehmen ähnlich wie in der Politik: dort gibt es ein Landwirtschaftsressort, ein Verkehrsressort – beide mit massiven Auswirkungen auf Umweltaspekte. Das Umweltressort darf aber bei der Strategie dieser Ressorts nicht mitreden. Und entsprechend ist ein Nachhaltigkeits-Team als Stabs-Abteilung essentiell, das bei allen Entscheidungen die Nachhaltigkeitsperspektive mit reinbringt. Und diese muss vom Management bedingungslos unterstützt werden.
Wenn wir die Umsetzung betrachten, so bieten sich zunächst „low hanging fruits“ an. Zum Beispiel der CO2-Fußabdruck innerhalb des kompletten Produktlebenszyklus. Wo lässt sich was reduzieren? Jeder Posten in der Bilanz eines Unternehmens hat einen Nachhaltigkeits-Impact. Wir haben z.B. eingeführt, dass mit Unternehmensgeld nichts Klima-Schädliches bezahlt wird. Businessreisen erfolgen mit dem Zug, oder bei einer Einladung zum Essen darf nur vegetarisch gegessen werden. Das sind Kleinigkeiten, aber sie summieren sich und stärken das Bewusstsein. Aber klar, die meiste Energie bringen wir dafür auf, die dicken Bretter zu bohren und systemisch was zu verändern.
Thomas:
Welche Rolle spielen dabei KPIs? Kann man Nachhaltigkeit messen?
Elisa:
KPIs per se gehen von einem linearen Denken aus. Ich glaube, hätte ich vorher bei einhorn KPIs erhalten, hätten wir nicht die Antworten gefunden, die wir gefunden haben. Um frei zu denken und sich wirklich sehr gründlich mit dem Thema zu beschäftigen, greifen KPIs häufig zu kurz. Dann wüsste man bereits, welche Antworten man finden soll.
Thomas:
Aber wie erkennt Ihr, wo Ihr gerade steht?
Elisa:
Wir im Team reflektieren oft und überlegen, wo wir mehr forschen müssen, welche Prioritäten für uns jetzt wichtig sind, konzentrieren wir uns z.B. auf Ökosysteme im Kautschukanbau oder auf die Wasseraufbereitung in der Kondomfabrik – für vieles gibt es wissenschaftliche Daten, gerade im ökologischen Bereich, weniger im sozialen. Und die Entscheidung fällt gemeinsam: nicht jeder muss wissen, wie man einen CO2-Fussabdruck misst oder was Minderungsstrategien sein können - aber jeder muss wissen: wenn ich diesen Partner wähle, hat das einen Impact auf Nachhaltigkeit. Und daher frage ich XY.
Thomas:
Und was ist mit Labels und Zertifikaten? Dokumentieren sie nicht den Grad der Nachhaltigkeit eines Unternehmens?
Elisa:
Natürlich, Zertifikate geben häufig eine Basis-Orientierung und können ein erster Schritt auf dem langen Transformationsprozess sein – aber nicht mehr. Auch bei Zertifikaten geht es darum, zu wissen, was von wem wie zertifiziert wird. Und ob das im jeweiligen Fall relevant ist. Welche Labels sind also gut und spiegeln im speziellen Fall die Nachhaltigkeit wider – und welche nicht. Ein Beispiel ist die FSC-Zertifizierung von Kautschuk. Vermutlich würden viele Kautschuk-Plantagen eine FSC-Zertifizierung erhalten, da hierfür geprüft wird, ob bestimmte Management-Praktiken eingehalten werden und spezielle Chemikalien nicht zum Einsatz kommen. Letztere werden für Kautschuk eh nicht verwendet. Außerdem wird überprüft, dass für die Plantage kein Wald gerodet wurde. Das ist wichtig, aber noch lange nicht nachhaltig. Und so wird häufig irgendetwas zertifiziert, das aber nicht das Grundproblem des Rohstoffes ist. Bei Holz, das aus Europa kommt und hier verarbeitet wurde, ist das anders – hierfür kann FSC eine sehr gute Zertifizierung sein. Auch Bio-Baumwolle kann gut zertifiziert sein hinsichtlich der Rohstoffe und seiner Umweltauswirkung. Das gibt aber keine Antwort darauf, ob die Bauern/Bäuerinnen fair dafür bezahlt werden.
Thomas:
Und wie siehst Du die Zukunft der Nachhaltigkeit? Wie lässt sich diese mit Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum verknüpfen?
Elisa:
Wenn ich in die Zukunft schaue, schwanke ich zwischen extremem Optimismus und tiefer Frustration. Das Thema erhält immer mehr Aufmerksamkeit, gleichzeitig gehen viele Lösungen nicht in die Tiefe. Ich bin dennoch überzeugt, dass es mittelfristig Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit nur mit Nachhaltigkeit geben wird. Dieser Prozess wird dauern. Was mich zuversichtlich stimmt, ist, dass immer mehr Mitarbeiter:innen das einfordern. Die Führungskräfte von morgen möchten ein ganzheitliches Geschäftsmodell realisieren, schauen über den Tellerrand und geben sich nicht mit einfachen Antworten und grünen Labels zufrieden. Wir hatten noch nie ein Problem damit, richtig gute Leute zu finden – im Gegenteil müssen wir eher Barrieren aufbauen, da wir viel zu viele Bewerbungen erhalten. Und so wird Nachhaltigkeit künftig im Wettbewerb um die besten Köpfe zum zentralen Differenzierungsthema. Und das ist gut so.
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