ChatGPT ist in aller Munde. Als „historisch“ und als „echte Internetrevolution“ betrachtet eine Reihe von Experten die dynamische Entwicklung der KI-Maschine. Und in der Tat scheint das disruptive Potenzial des umstrittenen Sprachmodells enorm zu sein. Auch für den Kundenservice? Im Folgenden betrachten wir das Beispiel Helvetia und die Möglichkeiten, die ChatGPT bereits heute im Kundenservice bietet. Das Fazit ist: Die Maschine und die Leistung, die sie bringt, ist nur so gut wie der Mensch, der sie steuert. Und das ist gut so.
Sind ChatGPT, Bard, Ernie & Co. Gamechanger in der Digitalisierung?
Ende März 2023 kündigte die Helvetia Versicherung an, künftig ChatGPT einzusetzen, um Kundenfragen zu Versicherungen und Vorsorge zu beantworten. Clara heißt die Chatbot-Dame, die im Rahmen eines Live-Experiments Auskunft gibt. Und in der Tat liefert die digitale Assistentin auf den ersten Blick vernünftige Antworten auf meine Frage:
Wichtig ist dabei, dass die Software auf klar definierte Web-Inhalte von Helvetia Schweiz zurückgreift – beispielsweise auf Produktseiten oder Ratgeberbeiträge.
Interessant ist, dass ausgerechnet eine Versicherung mit ChatGPT experimentiert. Denn sie gehört – wie zum Beispiel die Medizinbranche – zu den kritischen Sektoren, bei denen für den Customer Service ein ehernes Gesetz gilt: Die Antwort oder Lösung muss immer verlässlich und qualitätsgesichert sein. Die Antwort des Systems bringt den Fragesteller in diesem Fall nur einen kleinen Schritt weiter. Sie greift die Frage nicht direkt auf, sondern verweist auf eine allgemein formulierte Website. Auf das Alter als Kriterium für den Abschluss einer Lebensversicherung wird nicht eingegangen. Außerdem bleibt außer Betracht, dass ich aus Deutschland heraus anrufe und in der Antwort auf Schweizer Rahmenbedingungen Bezug genommen wird. In Summe ist die Antwort auf meine spezifische Frage unbefriedigend – ein Service Agent hätte mich besser und individueller beraten.
Viele Stichproben und Versuche haben in den letzten Monaten gezeigt, dass es die KI-Chatbots mit der faktischen Korrektheit ihrer Antworten nicht immer ganz genau nehmen. Persönlichkeiten, die zufällig denselben Nachnamen tragen, werden durcheinandergebracht, im Automobilkontext vermischen die Systeme die Angabe der Leistung in PS und Kilowatt. Aber: das System lernt extrem schnell dazu. In der Version 4 von ChatGPT, die im März 2023 vorgestellt wurde, konnten viele Unzulänglichkeiten ausgeräumt werden. Um zukünftig typische Fehler zu vermeiden, wurde das System intensiv mit menschlichem Feedback trainiert. Dass die Begleitumstände dieses Trainings vielfacher berechtigter Kritik ausgesetzt sind, sollte ebenfalls erwähnt werden.
Trotz deutlicher Verbesserungen in der Aussagequalität bleibt das Grundproblem bestehen, dass das System mit den Texten arbeitet, die verfügbar sind und seine eigenen arithmetischen Schlüsse daraus zieht. ChatGPT hat keine Ahnung von realen Sachzusammenhängen, es geht von seinem „Wissen“ aus. Entscheidend für den nutzbringenden Einsatz von ChatGPT ist also das Verständnis, was das System kann, und was nicht.
Obwohl sich Chatbots zu einem festen Bestandteil im Kundendienst-Alltag entwickelt haben, können klassische Dialogsysteme bis heute meist nur begrenzte Funktionen abdecken und einfache Fragen beantworten, z.B. zur Lieferfähigkeit von Produkten, zu Terminvereinbarungen, Versicherungspolicen, Wetterdaten etc. Damit entlasten sie Service-Teams von Routine-Anfragen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Eine neue Generation intelligenter Chatbots kann darüber hinaus durch den Zugriff auf die Inhalte einer professionellen Wissensdatenbank Themen ggf. durch Rückfragen eingrenzen und auf dieser Basis qualitätsgesicherte Antworten liefern. Leistungsfähige Chatbots sind außerdem in der Lage, aktiv kleine Aufgaben erledigen, z.B. Diagnosen durch- oder Buchungen ausführen. Gerade in eher standardisierten Themenbereich wie beispielsweise IT können Bots Probleme selbst beheben, beispielsweise das Löschen des Browser Caches oder das Wiederherstellen der Netzwerklaufwerke.
Und wo lässt sich ChatGPT im Kundenservice einsetzen? Wenn es um die Textklassifizierung und die Generierung von Texten bei eng begrenzten, weniger kritischen Themen und konsistent aufbereiteten Inhalten geht, kann ChatGPT seine Stärken ausspielen – zum Beispiel beim Nennen von Öffnungszeiten. Auf die Frage „haben Sie am Montag geöffnet“, liefert das System nicht nur die Seite mit den Öffnungszeiten, sondern antwortet konkret: „Ja, wir haben am Montag von 9:00 bis 20:00 geöffnet.“ Auch andere Einsatzszenarien sind denkbar, beispielsweise das Generieren von Ideen bzw. Anregungen für einen Werbeslogan. Denkbar ist auch das automatische Vermitteln von Ansprechpartnern. Auch das Training anderer Bots kann ChatGPT übernehmen. Nicht zuletzt nutzt ein internationales Möbelhaus ChatGPT derzeit, um die bestehenden Texte im Service an den konzernspezifischen „tone of voice“ anzupassen. Und natürlich agiert das Sprachmodell auch als „Small-Talk-Bot“, wenn es darum geht, Alltagswissen zum Besten zu geben.
Für den kundenorientierten Dialog sind so genannte „Conversational user interfaces“ (CUI) inzwischen zum Standard der Mensch-Maschine-Kommunikation geworden. Entsprechend wichtig ist es, die dadurch möglichen conversational services zu orchestrieren.
Ein Musikorchester ist ein gutes Bild, um die Technik-Idee für das Zusammenarbeiten verschiedener Chatbots zu beschreiben. Nach der Devise „allein stark, zusammen unschlagbar“ werden mehrere unterschiedliche Chatbots auf Basis einer Multibot-Architektur zusammengeschaltet und können so auch komplexe Aufgaben lösen.
Das Modell unterteilt Chatbots in zwei Rollen, Experten- und Lead-Bots. Dabei liefern die Expertenbots Informationen zu bestimmten Fachthemen, der Lead-Bot (= der Dirigent, um im Bild zu bleiben) fungiert als Moderator und weist dem Anwender den für sein Anliegen passenden Experten-Bot zu (der auf seinen Einsatz als Solist wartet).
Durch die beschriebene Architektur lassen sich ein oder mehrere ChatGPT-Bots sehr einfach integrieren. Dies kann man beispielsweise auf der USU Chatbot-Seite testen. Die Inhalte für ein solches „diverses“ Bot-Team werden über eine Wissensdatenbank gemanaged – für einen Kundenservice der Extraklasse.
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