Um „Cloudifizierung“ erfolgreich umzusetzen, müssen Unternehmen strategische, technische und organisatorische Aspekte unter einen Hut bringen.
Inzwischen nutzen nach einer aktuellen Studie von Research in Action (Quelle) weltweit über 93 Prozent der Unternehmen Cloud-Applikationen – und kämpfen mit der Komplexität einer hybriden IT-Infrastruktur. Der Cloud-Einsatz verspricht mehr Flexibilität, Schnelligkeit, Skalierbarkeit, die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle und den Einsatz innovativer Technologien. Allerdings liegen gerade in dieser Transformation – raus aus den internen Rechenzentren, hin zu Cloud Services – enorme Herausforderungen. Über die Praxis dieses „Cloudification-Prozesses“ spricht USU CSO Dr. Benjamin Strehl mit zwei Expertinnen – Wencke Schmidt, Lead Corporate Business Google Cloud, sowie Eveline Oehrlich, Chief Research Officer bei DevOps Institute sowie Research Director bei Research in Action.
Benjamin:
Es ist eine eher rhetorische Frage, mit der ich in das Thema einsteigen möchte: Liegt die Zukunft des Business in der Cloud? Die Entwicklung verläuft dynamisch, aber nicht überall gleichmäßig, und es gilt eine Reihe von Praxis-Hürden zu meistern. Können Unternehmen ihre Cloudification-Strategie in den nächsten Jahren erfolgreich weiter vorantreiben?
Wencke:
Sicherlich wird das Wachstum kontinuierlich weitergehen. Gartner prognostiziert, dass 60 % der Kernapplikationen in den nächsten 3-4 Jahren in der Cloud laufen werden. Was dazu kommt, sind neue Applikationen, die künftig in der Cloud entwickelt werden. Für viele Unternehmen ist es eine Frage der Wertschöpfung, digitale Business-Modelle mit digitalen „Cloud native-Applikationen“ zu entwickeln. Der deutsche Markt hat mit der Cloud-Transformation gegenüber dem asiatischen und US-Markt etwas Nachholbedarf – hier steckt viel Wachstumspotenzial.
Benjamin:
Aber gefährdet nicht der akute Fachkräftemangel, auch was Cloud Engineers betrifft, das rasant prognostizierte Cloud-Wachstum?
Eveline:
Definitiv ist der Fachkräftemangel weltweit das Nummer-1-Problem. Dazu kommen weitere
Benjamin:
Wencke, Ihr betreibt große Infrastrukturen, wie geht Ihr mit dem Thema Fachkräftemangel um?
Wencke:
Hierzu gibt es bei uns vielfältige Initiativen, u.a. gehen wir direkt an die Universitäten, um neue Cloud-Fachkräfte zu rekrutieren oder zum Beispiel läuft gerade eine groß angelegte Kampagne zur Schulung von Developern für Google Cloud – mit kostenfreien Trainings und Zertifizierungen. Aber die Herausforderung ist vor allem auch, die bestehende Belegschaft zu trainieren, auf die neuen Konzepte umzuschulen und mit den nötigen technischen Fähigkeiten auszustatten. Dazu kommen – wie schon angesprochen – die kulturellen Veränderungen. Das ist eine andere Welt – und auch ein neuer Job. Das gilt auch für unsere Kundenprojekte. Ein fester Bestandteil zu Anfang ist ein Trainingskonzept, um die identifizierten Rollen, Anforderungen und Skills z.B. über E-Learning-Maßnahmen zu schulen.
Benny:
Eveline, auch beim DevOps Institute beratet Ihr Firmen in dieser Sache: Passt das auch, was Wencke beschrieben hat, geht Ihr ähnlich vor? Habt Ihr auch so einen Tool-Kasten?
Eveline:
Es ist mehr als ein Tool. Es ist eigentlich ein Up-Skilling-Kasten. Denn es geht ja um kulturelle Kompetenzen, Leadership- und Projektorganisations-Fähigkeiten, aber auch um neue technische Fertigkeiten, z.B. bei Themen wie Container Management oder eben Google Cloud-Zertifizierungen. Dabei sind die Generationen ein Problem, denn die Cloud Transformation stellt vor allem ältere Mitarbeitende vor große Hürden. Diese gilt es bestmöglich mitzunehmen, und dazu benötigt man Zeit und eine gute Vorbereitung.
Benjamin:
Wenn Kunden sich für die Cloud entscheiden, spielt ja das Thema Cloud Cost Management eine große Rolle. In Studien geben etwa 70 Prozent der Kunden an, keine Transparenz über die Kosten zu haben – wie wichtig ist dieser Aspekt bei Euren Kundenprojekten?
Wencke:
Die Gründe für die Transformation in die Cloud sind in erster Linie, neue digitale Geschäftsprozesse zu entwickeln, andere Kunden zu adressieren und aus den Daten Werte zu ziehen. Es geht also um Wertschöpfung. In die Cloud zu gehen, um Kosten zu reduzieren, ist der falsche Ansatz – das ist ein wichtiger Nebeneffekt, wenn man es richtig macht. Was aber absolut relevant ist, ist Kostentransparenz.
Benjamin:
Hybride Infrastrukturen werden Unternehmen noch mindestens ein Jahrzehnt begleiten. Wie können diese unterschiedlichen Welten effektiv gesteuert werden? Wie bekommt man den Spagat zwischen IT-Komplexität und Geschwindigkeit hin?
Eveline:
Das ist die Diskussion, die in jeder Organisation zwischen der IT und dem Business geführt werden muss. An welcher Stelle brauchen wir Cloud-Ressourcen, wie sollen diese eingesetzt werden, damit wir z.B. in der Service-Erbringung schneller werden. Wo wollen wir Komplexität reduzieren, zum Beispiel für eine einfachere Wartung etc. Viele unserer Kunden nutzen inzwischen hierfür Lösungen für Hybrid Cloud Management. Deren Einsatz ist allerdings eine Art „Stückles-Geschäft“. Denn wir sehen, dass aktuell etwa 50 Prozent der Unternehmen diese für Teilbereiche nutzt. Beispielsweise kommen IT Cost Solutions zum Einsatz, um Transparenz zu schaffen, welche Services wie vernetzt sind, wie genutzt werden, um schlussendlich einen Überblick über die generellen IT-Kosten zu gewinnen. Holistische, ganzheitliche Lösungen, die auch Themen wie Governance, Compliance, Monitoring oder Service-Automatisierung umfassen, nutzen aktuell nur etwa 20 Prozent der Unternehmen. Aber deren Einsatz wird dramatisch wachsen, denn nach unseren aktuellen Untersuchungen steigt deren Nutzung in den nächsten 2 Jahren auf über 90 Prozent an. Diese Lösungen sind wichtig, um die Balance zwischen Kosten und Komplexität, zwischen IT und Business zu managen. Und die IT-Budgets sind praktisch nicht gestiegen.
Benjamin:
Aktuell gibt es im Markt viele spezielle Cloud-Lösungen – können sich diese auf Dauer durchsetzen?
Eveline:
In der Tat sind z.B. Branchen-Clouds für Health Care, Retail oder Finanzdienstleister derzeit sehr populär – denn sie decken etwa 80 Prozent der Prozesse ab, die in der jeweiligen Branche gleich sind.
Sie unterstützen spezielle Use Cases, und viele dieser Lösungen haben Low Code No Code-Funktionen. D.h. sie benötigen „lediglich“ einen Citizen Developer, also Entwickler, die aus dem Fachbereich und nicht aus der IT kommen. Aktuell gibt es über 300 Anbieter von Speziallösungen, die – je nach Problemstellung – komplementär zu anderen Cloudlösungen eingesetzt werden. Aber zunehmend integrieren auch die großen Cloud-Anbieter speziellere Themen in ihre Lösungen.
Benjamin:
Wie siehst Du das, Wencke
Wencke:
Meine Theorie ist, dass sich der Markt mittelfristig konsolidiert und auf die großen Player reduziert. Praktisch alle Software und Service Provider möchten ihre Lösungen nicht nur On Premises anbieten, sondern in die Cloud stellen. Der Markt für Cloud-basierte Speziallösungen wächst stetig. Um diese zu integrieren, bieten wir Google Marketplace an – hierüber können Unternehmen diese Lösungen beziehen.
Benjamin:
Laut KPMG sehen 95 Prozent der Firmen Compliance und Datenschutz als „Must Have“-Kriterien.
Sovereign Clouds bieten hier den entsprechenden Schutz. Gibt es zukünftig nur noch diese Variante?
Wencke:
Bezüglich der Anforderungen sehen wir deutliche branchenspezifische Unterschiede. Aber mit unserem Standard-Cloud-Angebot unterstützen wir heute bereits die europäische Datenschutz-Grundverordnung, aber auch deutsche und branchenspezifische Compliance-Anforderungen. Unsere Kooperation mit T-Systems gewährleistet zusätzliche Absicherungen. Damit garantieren wir die Datensouveränität unserer Kunden.
Benny:
Datenschutz ist ein zentraler Aspekt, aber aktuell wird auch viel über Nachhaltigkeit diskutiert:
Ist das Thema im Kontext Cloud für Kunden relevant?
Eveline:
Wir sehen das Thema aktuell tatsächlich noch nicht so sehr. Das ist überraschend. Als ich 2006 bei Forrester anfing, hatten wir praktisch keine Anfragen rund um das Thema „Green IT“. Als ich Forrester 2018 verließ, gab es 4 Analysten, die sich damit beschäftigten. Dennoch stehen bei Cloud-Vorhaben nach wie vor IT-Themen wie Skalierbarkeit, Kosten, Reduktion der Komplexität etc. im Vordergrund. Aber das wird sich sicherlich ändern.
Wencke:
Auch wenn Sustainability nicht immer die Top-Prio ist, taucht das Thema inzwischen bei vielen Anfragen auf. Kunden ist dies zunehmend wichtig. Und natürlich haben wir als großer Anbieter eine besondere Verantwortung. Daher wollen wir spätestens bis zum Jahr 2030 unseren kompletten Energiebedarf mit CO2-freier Energie decken.
Benjamin:
Vielen Dank für Eure inspirierenden und praxisorientierten Einblicke zu einem Thema, mit dem jedes Unternehmen derzeit konfrontiert ist.