Was noch vor Jahren undenkbar war, ist nun bei SAP kein Einzelfall mehr: Sie verklagt ihre Bestandkunden, wenn sie sich kaufmännisch nicht mit ihnen einigen kann. Im Rechtsstreit über Lizenzgebühren für „indirekte Software-Nutzung“ haben die Royal Courts of Justice (Königliche Gerichtshöfe) der Klage von SAP gegen Diageo (Case No: HT-2015-000340) stattgegeben. Früher ging die SAP in solchen Fällen nicht vor Gericht, heute geht es, nachdem die neuen Cloud-Produkte anscheinend nicht im erhofften Maß vom Markt angenommen werden, nur noch um eins: Umsatz. Den Partner, der einst an der Seite seiner Kunden stand, gibt es nicht mehr.
Besonders in Großbritannien und Irland ist die SAP Community verunsichert. Müssen SAP- und Salesforce-Kunden von nun an davon ausgehen, dass andere Gerichte ähnlich entscheiden?
Nach meiner Erfahrung versucht die SAP immer, wenn es um den Nachkauf von Lizenzen geht, mit ihren Bestandskunden eine kaufmännische Lösung zu finden. Sehr wahrscheinlich wird dies im Fall SAP vs. Diageo nicht anders gewesen sein. SAP wird festgestellt haben, dass auf die SAP-Systeme von Diageo indirekt zugegriffen wird. Dies ist nach Auffassung der SAP lizenzpflichtig.
Diageo hingegen wird den Standpunkt vertreten haben, dass sie dafür keine zusätzlichen Named-User-Lizenzen erwerben muss. Vermutlich wird Diageo der SAP die beiden Add-ons GEN2 und CONNECT vorgestellt haben (siehe Ziffer Nr. 30 – „Process and Product Discrition [PPD]“ provided by Diageo) in der Annahme, dass SAP bestätigen würde, dass dafür keine Kosten entstehen.
Wappnen Sie sich gegen indirekte Nutzung!
Damit lagen die Meinungen für eine kaufmännische Einigung weit auseinander und die SAP ging mit einer Forderung von 54.503.578 GBP (ca. 63,5 Mil. Euro) vor Gericht. Sie stützt sich dabei auf den Software-Lizenzvertrag mit Diageo und begründet ihre Forderung zusammengefasst (siehe Ziffer 36) wie folgt:
Vor allem Punkt 3 legt nahe, dass Diageo im Vorfeld versucht hat, ihre Argumentation gegenüber SAP zu vertreten, denn sonst hätte SAP diesen Punkt wahrscheinlich nicht in Ihrer Klage erwähnt. Die Argumente, die aus Sicht von Diageo gegen eine zusätzliche Lizenzplicht sprechen, waren:
Wie auch immer ein Außenstehender diesen Fall beurteilen mag, an dieser Stelle muss man anmerken, dass die Argumentation von Diageo wenig stichfest und daher auch leicht zu widerlegen war.
Wie ist Richterin O’Farrell bei ihrem Urteil vorgegangen? Das Urteil lässt sich im Wesentlichen in eine vertragliche und eine technische Bewertung gliedern. Bei der vertraglichen Beurteilung hat sich die Richterin am SAP-Vertrag orientiert und ist der Argumentation der SAP gefolgt. Sie kommt zu dem Schluss (siehe Ziffer 49), dass für den Zugriff auf die SAP-Systeme von Diageo ausschließlich und zwingend eine Name-User-Lizenz erforderlich ist. Die Named-User-Preisliste ist die einzige Basis für die Lizensierung bei Diageo. Der Zugriff über SAP PI ist ohne Named-User-Lizenz nicht gestattet. Somit sind alle Argumentationspunkte von Diageo irrelevant (im Urteil nachzulesen unter Ziffer 45, 47 und 48).
Bei der technischen Beurteilung ist sehr detailliert aufgeführt, wer wie auf SAP-Systeme zugreift. Daraus muss der benötigte SAP-Lizenztyp (Named-User, nach Auffassung der Richterin) ermittelt werden. Da im Urteil nicht vom „SAP Platform User“ die Rede ist (der für diese Art von Zugriffen in der PKL vorhanden ist), gehe ich davon aus, dass die SAP für jeden Zugriff eine „SAP Professional User“-Lizenz haben wollte. Dem hat die Richterin widersprochen. Die Höhe der Nachzahlung von Diageo an die SAP steht also noch nicht fest. Zunächst muss der „richtige“ Named-User-Lizenztyp definiert und die genaue Anzahl der User bestimmt werden.
Wäre der britische Getränkehersteller also besser beraten gewesen, hätte er sich im Vorfeld mit SAP außergerichtlich geeinigt? Absolut! Beide Analysen, vertraglich wie technisch, hätte Diageo zusammen mit einem erfahrenen Berater für SAP-Lizenzmanagement und nicht von einem Gericht durchführen lassen sollen. Jede einzelne Anwendung (Schnittstelle, Add-on, welche auf SAP-Systeme zugreift) hätte individuell untersucht werden müssen – im Zweifelsfall unter Einbeziehung eines erfahrenen IT-Software-Rechtsanwalts. Erst danach kann man, wenn man sich nicht kaufmännisch einigen kann, vor Gericht gehen.
Ob diese vertraglichen Regelungen zur indirekten Nutzung nach der EU-Softwarerichtlinie überhaupt wirksam sind, hat das Gericht nicht geprüft. Das Urteil hat wahrscheinlich für den EU-Raum keine Präjudizwirkung, auch wenn die SAP das vielleicht gerne hätte. Zum einen ist das Urteil ein erstinstanzliches Urteil, dass selbst in UK für andere Gerichte nicht bindend ist. Zum anderen müssen Lizenzregelungen in Verträgen mit nationalem und EU-Recht im Einklang stehen. Man darf gespannt sein, wann es die ersten gerichtlichen Verfahren in Deutschland und anderen EU-Staaten gibt, bei denen sich die Gerichte mit der Frage beschäftigen, ob die derzeitige Lizenzpraxis der SAP zur indirekten Nutzung mit nationalem und EU-Recht im Einklang steht.
Klar ist, dass verantwortungsbewusste SAP-Kunden jetzt handeln müssen. Jeder indirekte Zugriff ist im Einzelnen zu prüfen und zu bewerten. Die Frage, die sich jeder Kunde stellen sollte, egal in welchem Land, lautet:
Es geht um Millionen für Kunden und um Milliarden für SAP.
Haben Sie noch Fragen zum Thema indirekte Nutzung? Wir beraten Sie gerne!